Komm, wir gehen in die Wälder
Alice Creischers (geb. 1960 in Gerolstein) künstlerische Praxis ist geprägt durch die kritische Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart des Kapitalismus, dessen weltweiten Auswirkungen auf soziale und ökologische Lebensbedingungen und den damit verbundenen soziologischen und ästhetischen Diskursen. Die Inhalte, die sich aus ihren Überlegungen und Erfahrungen ergeben, überträgt sie in szenografische Situationen. So schafft sie begehbare Bühnenbilder, in denen auch Texte zu Bildern werden. Zahlreiche Kollaborationen mit anderen Künstler*innen und Wissenschaftler*innen zeugen von Creischers Freude an der Arbeit mit unterschiedlichen Formen künstlerischer Autorschaft.
Im Leopold-Hoesch-Museum wird Alice Creischer unter anderem eine Auswahl ihrer Filme zeigen, wie „Feindesliebchen“ (2002), „Für Camille B.“ (2015), „Die Parzen“ (2019), „April, Juni, Herbst“ (2020). Oft sind Orte, an denen sich politische Verhältnisse konkret manifestieren, Ausgangspunkt dieser Filme. In „In the Stomach of the Predators” (2014) beispielsweise wandert eine Horde Raubtiere von Spitzbergen in die Republik Benin und die Türkei. Ausgangspunkt des Films ist der weltweite Saatgut-Tresor auf Svalbard, Spitzbergen, in dem alle Arten von Nutzpflanzensamen in einer Art Speicher im Permafrost aufbewahrt werden sollen. Das viel gelobte Projekt wird allerdings unter anderem von der Weltbank und einigen der größten Samen- und Pestizidproduzenten der Welt mitfinanziert, die für die massive Reduktion der Artenvielfalt von Nutzpflanzen verantwortlich sind. Creischers Rückgriff auf Methoden des Brechtschen Theaters, des Stummfilms und des Scherenschnitts verwandeln den Film in eine Parabel über konkrete Auswirkungen des globalen Kapitalismus.
Für das Leopold-Hoesch-Museum hat Alice Creischer die Installation „Komm, wir gehen in die Wälder“ entwickelt, die sich mit dem rheinischen Tagebau auseinandersetzt, seiner Verzahnung mit dem globalen Wirtschaftssystem und der Politik sowie den Aktivist*innen in und um den Hambacher Forst, die versuchen, den weiteren Braunkohleabbau zu stoppen. Aufgrund der pandemiebedingten Hygienevorgaben kann das Konzept allerdings leider nicht umgesetzt werden. Es beinhaltete diverse Objekte, wie eine Leiter und Kopfhörer, die von Besucher*innen berührt werden müssten oder bei deren Gebrauch sich Menschen nahekommen. Stattdessen präsentieren wir daher eine Art Skizze des Werks. Das Partisanenlied ist nicht – wie gedacht – über Kopfhörer zu hören, sondern als Skript an der Wand zu lesen. Es wartet noch auf seine eigentliche Inszenierung, die dann im Herbst im Rahmen der Ausstellung „Vom Leben in Industrielandschaften II“ realisiert wird. Im Mittelpunkt der Arbeit steht ein Pelzmantel, der an einem selbstgesponnenen Jutefaden hängt und durchzogen ist von eingestickten Bildern, Texten und Objekten. Kostüme stehen in Creischers Arbeit für die unterschiedlichen Rollen einer Inszenierung. In diesen handbearbeiteten Kleidungsstücken, den Gedichten und Balladen zeigt sich aber auch, wie sich wirtschaftliche und politische Verhältnisse in den Körpern einzelner manifestieren. Stets geht es ihr darum, mit Ihrem Bilderkosmos einen Gegenentwurf zur Bilderwelt des Kapitalismus in die Welt zu setzen.